Die erste Enzyklika eines Papstes erklärt sich programmgemäß als eine Art Verlautbarung über die Wegweisung, die der Nachfolger Petri der Kirche in den Jahren geben will, in denen sie ihm anvertraut ist. Man kann klar im Titel des Dokumentes den Willen Papst Benedikts ausmachen, von den Grundpfeilern des Christentums neu zu star-ten: Gott ist die Liebe (1Joh 4,16), für eine Menschheit, die immer mehr dem Meer an Möglichkeiten einer Gesellschaft ausgesetzt ist, damit aber diese Menschheit auf sichere Geleise zu Gott geführt werde.
Nur über diese Feststellung kann man in der Tat das Geheimnis eines fleischgewordenen und gekreuzigten Gottes verstehen, um die eigenen Kinder zu retten. Allein in diesem Licht kann man die Bedingungen eines Glaubens annehmen, der uns laufend zu einem Verhalten der Annahme, des Verständnisses und der Barmherzigkeit gegenüber allen ermahnt, ohne die Feinde auszunehmen. Nur in einer Perspektive der Liebe, die Gott selbst ist, kann man in jenem durcheinander geratenen Trödlerladen an verschiedensten „Liebesarten“ Ordnung bringen, die sich der Mensch geschaffen hat, um seinen an sein Dasein gebundenen Durst zu stillen.
„Das Wort Liebe ist heute zu einem der meist gebrauchten und auch missbrauchten Wörter geworden, mit dem wir verschiedene Bedeutungen verbinden“, ermahnt der Papst, um uns eine Frage zu stellen: „Gehören all diese Formen von Liebe doch letztlich in irgendeiner Weise zusammen, und ist Liebe doch – in aller Verschiedenheit ihrer Erscheinungen – eigentlich eins, oder aber gebrauchen wir nur ein und dasselbe Wort für ganz verschiedene Wirklichkeiten?“.
Um auf die Frage zu antworten, stützt sich der Heilige Vater, wie schon der Titel ankündigt, auf die Begriffsbestimmung Gott als Liebe: „In einer Welt, in der mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbunden wird..., möchte ich in meiner ersten Enzyklika von der Liebe sprechen, mit der Gott uns beschenkt und die von uns weitergegeben werden soll“.
Von der Liebe als Caritas, d.h. Liebe im wahrsten Sinn des Wortes. Entstanden aus dem Eros (menschliche Übermächtigung aus dem Niederen, die uns auf eine höhere Dimension bringt) sowie Agape („Abkömmling“ der Liebe, als Selbstverschenkung verstanden, d.h. gespendete Liebe). Diese beiden Begriffe standen sich nach einer bestimmten Überzeugung gegenüber, während sie in Wirklichkeit eine untrennbare Einheit darstellen: „Wenn man diesen Gegensatz radikal durchführte, würde das Eigentliche des Christentums aus den grundlegenden Zusammenhängen des Menschseins ausgegliedert und zu einer Sonderwelt... In Wirklichkeit lassen sich Eros und Agape – aufsteigende und absteigende Liebe – niemals ganz voneinander trennen“, führt der Heilige Vater aus.
Es darf nicht fehlen, dass wir auf die Gefahr leichter Entartungen achten, an denen sich die Welt von heute gewöhnt hat. Damit man in der Tat eine Qualität an Liebe erreicht, die naturgemäß Unendlichkeit und Ewigkeit verspricht: „Sind Reinigungen und Reifungen nötig, die auch über die Straße des Verzichts führen. Das ist nicht Absage an den Eros, nicht seine ‚Vergiftung’, sondern seine Heilung zu seiner wirklichen Größe hin.“, stimmt der Papst in realistischen Ton zu. „Heute wird dem Christentum der Vergangenheit vielfach Leibfeindlichkeit vorgeworfen, und Tendenzen in dieser Richtung hat es auch immer gegeben“ - erklärt er. Aber die Art von Verherrlichung des Leibes, die wir heute erleben, ist trügerisch. Der zum ‚Sex’ degradierte Eros wird zur Ware, zur bloßen ‚Sache’: man kann ihn kaufen und verkaufen, ja, der Mensch selbst wird dabei zur Ware“. Und er fügt hinzu: „Ja, Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst hinausführen, aber gerade darum verlangt er einen Weg des Aufstiegs, der Verzichts, der Reinigungen und Heilungen“.
Die Auseinandersetzung mit dem Eros kann als überholt betrachtet werden, wenn im Menschen Leib und Seele sich in vollkommener Harmonie befinden. „Ja Liebe ist ‚Ekstase’, aber Ekstase nicht im Sinn des rauschhaften Augenblicks, sondern Ekstase als ständiger Weg aus dem in sich verschlossenen Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja zur Findung Gottes“.
Schließlich dürfen Eros und Agape nie voneinander getrennt sein, im Gegenteil, je mehr sie unter sich ausgeglichen sind, desto mehr verwirklicht sich die wahre Natur der Liebe: „Der Mensch wird dann ganz er selbst, wenn Leib und Seele zu innerer Einheit führen; die Herausforderung durch den Eros ist dann bestanden, wenn diese Einung gelungen ist“, stellt Papst Ratzinger fest.
Wie wir gesehen haben, behandelt der erste Teil der Enzyklika die Klarstellung des Begriffs Liebe, damit sie in ihrem Wesen gelebt werde. Dem Christen stellt sich eine weitere Herausforderung, die dem Gebot erwächst: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Infolge dieser und anderer Einladungen, ermahnt uns der Herr, uns des Nächsten anzunehmen, weshalb sich die Christen stets „Werken der Liebe“ widmeten.
Unzählig sind die religiösen Hilfs-Einrichtungen für die Notleidenden, an Leib und Seele: „Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt“, fährt der Nachfolger Petri in seinem Brief weiter. Achten wir aber darauf, entspringt die tätige Liebe nicht aus unserem persönlichen Verhältnis zu Gott, bleibt sie eine rein soziale Handlung, während die wahre barmherzige Tätigkeit mehr als nur gewöhnliche Menschenliebe ist.
Die Heiligen legen Zeugnis ab: „... - den-ken wir zum Beispiel an die sel. Theresa von Kalkutta – haben ihre Liebesfähigkeit dem Nächsten gegenüber immer neu aus ihrer Begegnung mit dem eucharistischen Herrn geschöpft“, erinnert der Papst, und weist darauf hin, dass die Liebe Gottes von der Liebe zum Nächsten unzertrennlich ist, sie sind ein einziges Gebot. Der Hinweis Gottes, die anderen zu lieben, ist nicht ein „Gebot“ von außen her, das uns Unmögliches vorschreibt, „sondern geschenkte Erfahrung der Liebe von innen her, die ihrem Wesen nach sich weiter mitteilen muss. Liebe wächst durch die Liebe...“.
„Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“ (1 Kor 13,3). Ein Vers vom Hohelied der Liebe des hl. Paulus, das nach Papst Benedikt die „Magna Carta“ allen kirchlichen Dienstes sein muss; in ihm sind alle Überlegungen zusammen gefasst, die ich im Laufe dieses Schreibens entwickelt habe. Die praktische Aktion bleibt zu wenig, wenn in ihr nicht die Liebe zum Menschen selbst spürbar wird, die sich von der Begegnung mit Christus nährt. Das persönliche, innere Teilnehmen an der Not und am Leid des anderen wird so Teilgabe meiner selbst für ihn: Ich muss dem anderen, damit die Gabe ihn nicht erniedrigt, nicht nur etwas von mir, sondern mich selbst geben, als Person darin anwesend sein.“
Folgen wir dieser Anleitung, werden wir nicht einer oft auftretender Falle entgehen: jener einer übergeordneten Stellung gegenüber dem, der die Hilfe empfängt: „Christus hat den letzten Platz in der Welt – das Kreuz – eingenommen, und gerade mit dieser radikalen Demut hat er uns erlöst und hilft uns fortwährend. Wer in der Lage ist zu helfen, erkennt, dass gerade so auch ihm selber geholfen wird und dass es nicht sein Verdienst und seine Größe ist, helfen zu können. Dieser Auftrag ist Gnade. Je mehr einer für die anderen wirkt, desto mehr wird er das Wort Christi verstehen und sich zueignen: ‚Unnütze Knechte sind wir’ (Lk 17,10)... Aber gerade dann wird ihm helfen zu wissen, dass er letzten Endes nur Werkzeug in der Hand des Herrn ist, er wird sich von dem Hochmut befreien, selbst und aus Eigenem die nötige Verbesserung der Welt zustande bringen zu müssen“.